⎯ Wir lieben Familie ⎯

Schwiegerelternrituale


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AutoreninfoSylvia Koppermann
aktualisiert: 26.02.2020Mehrfache Mutter u. Autorin
Medizin, Gesundheit und Erziehung
Bevor auch nur ein falscher Verdacht aufkommt: Ich liebe meine Schwiegereltern!

Wirklich, sie sind Unikate, die man einfach gern haben muss! Aber sie treiben einen, liebevoll, auch manchmal in den Wahnsinn.

Für ihre Familie gehen sie, soweit das eben mit achtzig Jahren noch möglich ist, durchs Feuer. Und natürlich habe auch ich meine Debatten über "modernere" Erziehungsmethoden mit meiner Schwiegermutter, aber sie hört zu, nimmt meine Argumente an und sagt oft genug: "Das klingt besser, als das, was man uns früher riet". Was ich aber am meisten an meinen Schwiegereltern schätze, ist diese unnachahmliche Art, mit der sie uns jedes Mal zum Lachen bringen - wenn auch unabsichtlich.

Es war an einem Samstag mitten im Winter und wir kämpften uns über schlecht geräumte Gehwege durch meterhohe Schneewehen zum Kaffeekränzchen bei den Schwiegereltern. Ungeduldig warteten sie bereits, Vater schimpfte ein wenig, ganz nach seiner Art als grummeliger, alter Harzer, dass man uns praktisch schon direkt nach dem Mittag erwartet habe und er bereits dachte, er müsste nun zwei Torten allein essen.

Genau diese beiden Torten standen als Eisbombe oder liebevoll auch Halbgefrorenes genannt auf dem Tisch und sahen nicht einmal so aus, als hatten sie vor, in den nächsten Stunden überhaupt aufzutauen, geschweige denn schlecht zu werden. Dann wurde Vaters berühmt-berüchtigter Kaffee in die Tassen portioniert. Während nun das Kaffeegebräu meines Schwiegervaters langsam aus der Kanne in meine Tasse floss - und wir reden hier nicht vom Aggregatzustand flüssig - ich tapfer diese Koffeindröhnung schluckte, erinnerte ich mich an eine nette Anekdote aus der Jugendzeit meines Mannes. Er bekam morgendlich seinen Kaffee, aber nur mit einem Schuss frischer Sahne.

Argument seiner Eltern: Dann wäre das nicht so schädlich!

Ich fragte meinen Mann, warum er dann überhaupt Kaffee bekommen hätte, woraufhin er meinte, das passende Argument der Eltern war: Kaffee gehört dazu und muss sein! Missmutig rümpfte mein Schwiegervater die Nase, als ich Zucker in meinen Kaffee schaufelte, hat er es doch noch immer nicht aufgegeben, mir zu erklären, es spräche gegen jegliche gute Sitten, wenn ich meinen Kaffee gesüßt trinke.

Milch wäre genehmigt, Zucker hingegen ein Verbrechen.

Beim Anblick der Safttüte, die, trotz tropischer Wohnungstemperaturen, immer noch ins Warmwasserbad gestellt wurde, bevor Elly davon trinken durfte, während Mutter allerdings eine halbe Sahnetorte in das Kind stopfte, die noch komplett gefroren war, weil grundsätzlich Tiefkühltorten erst 10 Minuten vor dem Verzehr aus dem Kühlfach genommen werden, verkniff ich mir ein allzu breites Schmunzeln. Plötzlich fing es im Buffet hinter meinem Mann an zu piepsen. Immer lauter, immer hysterischer.

Der Wecker!

Mein Mann wollte ihn ausmachen, was nun aber von seiner Mutter verhindert wurde. "Junge, nicht, dass macht der Wecker immer." "Ja, Mutter, das glaube ich Dir ja, aber er macht das, weil ihn niemand ausstellt! Warum klingelt der überhaupt um die Zeit?"

"Ach, Junge, das macht der doch jeden Morgen und jeden Nachmittag, das weißt Du doch! Das ist doch, weil ich Dich immer wecken musste, damit Du zur Frühschicht nicht verschläfst!"

Und dann fiel es mir wieder ein: Vier Jahre ist es nun her.

Jeden Morgen pünktlich um vier Uhr klingelte sein Handy und seine Mutter sagte, er müsse nun aufstehen. Sie wusste zwar, dass er bei mir schlief und wir durchaus auch Wecker haben, aber ihr Kleiner, gerade mal süße 35 Jahre alt, könnte ja verschlafen, wenn Mama sich nicht darum kümmert.

So stellte sie den Wecker auf 5 Minuten vor vier Uhr.

Natürlich stand der Wecker auf dem Buffet im Esszimmer, wo sie ihn ja nicht hören konnte. So wurde der andere Wecker, neben dem Bett, gestellt, damit sie wach wurde, ins Esszimmer gehen und dort den Wecker abstellen konnte. Danach ging es dann ins Wohnzimmer zum Telefon und mein Mann wurde angerufen. Wir brauchten fast ein Jahr, um ihr diese Marotte abzugewöhnen und erst, als mein Mann anfing, sie morgendlich kurz vor vier anzurufen und zu fragen, ob denn nun sie verschlafen habe, hörte der Spaß auf.

Gut, das ist nun vier Jahre her und inzwischen dürfte es wohl unsinnig sein, den Wecker zweimal täglich, kurz vor vier Uhr klingeln zu lassen. Aber nein, NIEMAND darf das abstellen, denn "Das haben wir immer so gemacht, so wird es auch weiter gemacht!". Gegen sechs Uhr brachen wir auf und erklärten, noch schnell im Supermarkt, den Wochenendeinkauf erledigen zu müssen.

Wieder ein missmutiges Schnauben meines Schwiegervaters. Warum wir denn erst so spät einkaufen, denn, das mache man doch nicht, brummte er.

Ich blieb locker.

"Naja, der Supermarkt hat aber bis 22 Uhr auf. Die Öffnungszeiten haben die, weil sie bis dahin verkaufen wollen und ich denke, wir kommen sicher nicht in die Hölle, wenn wir da erst gegen Abend einkaufen." Mein Schwiegervater drehte sich Kopf schüttelnd um. Fünfzehn Minuten später waren wir dann mitten im Einkauf, als das Handy meines Mannes klingelte. Ich hörte Gesprächsfetzen wie "Ja, ... sind noch im Laden ... danach gleich nach Hause ... bis dann ...".

Ich fragte gar nicht, wer dran war, denn eigentlich konnte ich es mir schon denken. Keine halbe Stunde später waren wir dann schließlich schwer bepackt zu Hause und noch bevor die erste Tüte in der Küche stand, bimmelte schon wieder Joes Handy. "Nein, Mutter, das dauert ja auch etwas, weil wir für sechs Personen einkaufen ... Nein, Mutter, es ist alles in Ordnung, ... Ja, Mutter, natürlich sind auch die Kleinen heil zu Hause angekommen, die haben wir nicht im Supermarkt vergessen, ..."

Ich starrte meine Mann an.

Kaum hatte er aufgelegt, setzte er sich lachend an den Küchentisch. Bereits der Anruf im Supermarkt war von seiner Mutter, die tief besorgt, durch die Wohnung tigerte und sich Gedanken machte, ob wir wohl unbeschadet nach Hause kommen würden, wo doch so viel Schnee draußen läge. Im Geiste baute sich ein Bild auf, wie sie immer wieder zum Fenster rannte, den Hals reckte und schaute, ob sie in der Ferne ein Blaulicht ausmachen könnte, das darauf hinwies, wir könnten in ein Treibschneeloch gefallen sein. Nebenbei der Befehl an den Schwiegervater, er solle den Nachrichtensender anschalten, wo natürlich über das Chaos auf all den Autobahnen berichtet wurde, was wiederum die Panik meiner Schwiegermutter zu Höchstleistungen trieb. Die armen Kinder so allein da draußen, in mitten der Schneestürme...!

Und dann der strafende Blick zu meinem Schwiegervater: "Vadder, wenn ich den Joe jetzt nicht ans Telefon kriege, gehst Du noch mal raus und guckst, was da los ist, ja?" Ja sicher, er würde uns retten, blieben wir stecken! Wie ein Bohrkopf würde er sich durch die Schneemassen schrauben und uns Nottunnel zur Bergung fräsen!

ls sie dann endlich die Nachricht bekam, wir wären sicher zu Hause gelandet, völlig unfallfrei und ohne, dass man uns aus einer Schneewehe schweißen musste, gönnte sie sich wahrscheinlich einen herzhaften Becher Kamillentee! Noch immer starrte ich meinen kichernden Mann an. "Schatz, Deine Mutter hat aber nicht vergessen, dass wir nur zwei Straßen weiter wohnen, die nächste Autobahn 30 Kilometer weit weg ist und in den letzten Jahren niemand hier im Schnee versunken ist, den man dann erst im Frühjahr wieder gefunden hätte, oder?" "Klar weiß sie das, aber ich glaube manchmal, sie verpasst sich von Zeit zu Zeit gern einen Adrenalinschuss, indem sie sich Szenarien ausmalt, wir und die Kinder stecken in irgendwelchen Klimakatastrophen, aus denen wir nur gerettet werden können, indem sie anruft und fragt, wo wir gerade sind oder meinen Vater losschickt, damit der uns aus diesen Situationen heraus quasselt."

Jetzt lachte auch ich.

Und in mir wurde der Verdacht fett gefüttert, dass ich noch viele tolle Erlebnisse mit meinen Schwiegereltern haben würde. Mögen sie mindestens 100 Jahre alt werden, meine anstrengenden, aber knuddel-süßen Pulsbeschleuniger!

[SyKo]

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