⎯ Wir lieben Familie ⎯

Oh, Tannenbaum

Um halb drei morgens, am 1. Weihnachtstag, schallte es “Achtung, Baum fällt!”, während ich, diabolisch grinsend, die Fichte aus dem Fenster warf.

Der nächste Weihnachtsbaum war eine Edeltanne, mit Wurzeltopf. Im ersten Jahr noch klein, tröstete ich mich, dass sie ja über den Sommer wachsen würde und ich so jedes Jahr einen größeren Baum zum Schmücken hätte. Vier Jahreszeiten zogen ins Land, der Advent neigte sich dem Ende und endlich stand der Heilige Abend wieder vor der Tür.

Stolz schleppte ich den schweren Topf ins Haus, hievte ihn auf den Eckschrank und ließ ihn sich an die Raumtemperatur gewöhnen. Irgendetwas müffelte! Ich suchte die ganze Wohnung ab, doch meine Nase führte mich immer wieder zum Baum. Ein bisschen näher,... noch näher... tatsächlich, die Edeltanne stank bestialisch nach Hundepipi. Der Hund meines Vermieters hatte nicht die Rosen des Hausherren oder die Küchenkräuter des Frauchens zum Markierungspunkt gewählt, nein, diese alte, flohverseuchte Fußmatte benutze MEINEN Weihnachtsbaum als Klo.

Da half nichts! Weder Fichtennadel-Raumspray, noch Duftbäumchen, statt Kugeln, der Baum war ungenießbar. So blieb dann keine andere Wahl, als die allerletzte Tanne unter Schubsereien mit kaufwütigen Konkurrenten zu erobern, ein paar Zweige aus der Hecke unseres Nachbarn zu mopsen und diese in die klaffenden Lücken zu stopfen, um wieder einen Baum zu haben, an dem sich zumindest Picasso erfreut hätte. Das war für mich der endgültig letzte Akt!

Im kommenden Jahr steuerte ich am Weihnachtsbaumverkaufsstand vorbei, direkt in den nächsten Baumarkt. Dort stand er: mein Baum der Zukunft! Groß, voll, lückenlos und 100% künstlich. Dieser Baum würde sich nicht vor den Augen meiner unschuldigen Kinder ausziehen. Er würde nicht vertrocknen und seine Nadeln in der gesamten Wohnung verteilen, dass man sie noch Ostern aus den Teppichschlaufen ziehen konnte. Dieser dunkelgrüne Traum roch zwar nicht nach Wald, dafür stank er auch nicht nach Hundepipi und erst recht würde nicht einmal ein Specht es schaffen, seine Formen zu modellieren.

Imposant steht er nun zu jedem Weihnachtsfest in unserer Stube. Und während bei mir ab dem Heiligen Abend das Telefon nicht stillstehen will, weil Freundinnen und Verwandte in den Hörer schluchzen, welch schön getrunkene Trauerweide der Gatte nach Hause geschleppt hat, wie oft die Katzen erfolgreich eine Rodung der Fichte mit Überschlag übers Weihnachtsbuffet absolvierten, oder dass die romantische Verführung unterm Tannenbaum zu einer Fakirnummer ausartete, zwinkere ich meiner Plastiktanne zu und versichere ihr immer wieder: “Oh Tannenbaum, wie treu sind Deine Blätter!”

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